Polyvalenz macht vieles möglich: Wie plant Bayern mit Guerreiro?
08.06.2023 | 13:13 Uhr
Raphael Guerreiro wechselt nach Sky Infos zur kommenden Saison zum FC Bayern München. Wie passt der bundesliga-erfahrene Portugiese jedoch zum Rekordmeister?
Bayern-Trainer Thomas Tuchel darf sich freuen. Der Meistertrainer bekommt seinen ersten Wunschspieler für die kommende Saison. Raphael Guerreiro wird nach Sky Informationen in der kommenden Saison für den FC Bayern München spielen, nur der Medizincheck und die Unterschrift stehen noch aus. Beide Parteien haben sich aber bereits mündlich auf einen Vertrag des 29-Jährigen über drei Jahre bis 2026 geeinigt. Der (Ex-)BVB-Star kommt ablösefrei, nachdem er ein Angebot des Vizemeisters für eine Verlängerung ausgeschlagen hatte.
Abgesehen von Leipzigs Konrad Laimer, der ebenfalls ohne Ablöse an die Isar wechseln wird, ist Guerreiro ein Spieler, bei dessen Verpflichtung Tuchel von Anfang bis zum Ende eingebunden war. Aus gutem Grund, der FCB-Coach und Guerreiro kennen und schätzen sich aus gemeinsamen Dortmunder Zeiten. Für Tuchel ist der Portugiese ein absoluter Qualitätsspieler und ein weiteres Puzzleteil, der Bayern-Mannschaft seine Handschrift zu verleihen. Wie erreicht Guerreiro das? Wo planen die Bayern mit ihm? Und was bedeutet das für seine Konkurrenten? Sky Sport hat sich den Allrounder genauer angeschaut.
Ausgebildet bei SM Caen, etablierte sich der Sohn eines Portugiesen und einer Französin zunächst in der Ligue 2, wo er sich gleich in seiner ersten Profisaison zum Stammspieler entwickelte und die Aufmerksamkeit Frankreichs und die des FC Lorient auf sich zog, wohin er im Sommer 2013 wechselte und wo er über drei Jahre hinweg zum portugiesischen Nationalspieler reifte und sich schließlich als frischgebackener Europameister 2016 dem BVB anschloss.
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Wie auch beim BVB spielte Guerreiro in Lorient hauptsächlich auf der linken Seite, meistens als defensiverer Part. Häufig wurde er auch offensiv eingebunden und hin und wieder als Linksaußen aufgeboten. Bei Borussia Dortmund zeigte er seine Qualitäten zudem im zentralen Mittelfeld. Polyvalenz nennt sich das im modernen Fußball. Beim BVB war Guerreiro, dessen Zeit in Dortmund nicht selten von Verletzungen geprägt war, immer auch ein Leistungsträger und hatte entscheidenden Anteil an zwei DFB-Pokalsiegen und zuletzt auch an einer spannenden Bundesliga-Saison, dessen besseres Ende sich der FC Bayern zu eigen machte - sein neuer Klub.
Dass der 29-Jährig polyvalent, also auf verschiedenen Positionen einsetzbar ist, ist vor allem seinen spielerischen Qualitäten geschuldet. Er verfügt über eine starke Technik am Ball, ein gutes und vor allem kreatives Passspiel sowie ein gutes Positionsspiel. Letzteres ist gerade deshalb wichtig, weil Guerreiro allein schon aufgrund seiner Physis und seiner Ausrichtung eher ein solider statt überragender Zweikämpfer ist. Den Analysten von Create Football zufolge gehört der Linksfuß zu den Außenverteidigern der Top-Fünf-Ligen mit den meisten Ballaktionen und Pässen. Er ist also in Dortmund häufig im Spielaufbau eingebunden worden.
"Wenn man sich seine Spielanteile über die letzten Jahre anschaut, war er immer einer der Schlüsselspieler", sagte BVB-Trainer Edin Terzic Mitte der Rückrunde über Guerreiro gegenüber dem US-Sportsender ESPN. "Wir wissen, dass er großen Einfluss auf unser Spiel nehmen kann."
Offensiv findet er dafür laut den Datenscouts von Create Football in engen Situationen oftmals eine spielöffnende und für die Gegner gefährliche Lösung, sei es durch ein Dribbling, einen klugen Pass oder eine präzise Flanke. Das schlägt sich in seiner Torgefahr nieder. In 224 Pflichtspieleinsätzen für den BVB war der 1,70 Meter große Guerreiro an 90 Toren (davon 50 Assists) direkt beteiligt.
Guerreiro ist zuallererst einmal kein Spieler, den die Bayern holen, um sich auf der Bank zu verstärken. Dass er neben dem zentralen Mittelfeld, wo er unter Tuchel beim BVB häufig spielte, hauptsächlich als linker Verteidiger eingeplant ist, ist natürlich in vorderster Linie ein Problem für Alphonso Davies, der sich strecken müssen wird. Der Kanadier bekleidet seit Jahren die Linksverteidigerposition bei den Bayern und reifte dort vom Talent zum internationalen Star. Auch wenn er zuletzt häufiger durch Verletzungen ausfiel, stellt Guerreiro keinen einfachen Back-up für den 22-Jährigen da. Er ist eher eine Ergänzung.
Denn die spielerischen Qualitäten, die Guerreiro mitbringt, gehen Davies in manchen Situationen ab. Der Bayern-Verteidiger kommt oft über Tempoläufe und überläuft seine Gegner meistens, was Davies auf engerem Raum des Öfteren in eine Bredouille bringt. Guerreiro versucht dagegen mit einem Pass die Abwehrreihen zu knacken. Gerade beim Ballbesitz-Fußball, den der FC Bayern spielt, ist das eine neue Möglichkeit, die sich Tuchel bietet. In Spielen, in denen Tempo benötigt wird, käme dann wieder Davies zum Zug. Der Rekordmeister wird dadurch ein Stück weit variabler und das zu einem günstigeren Preis als sie für Joao Cancelo hätten bezahlen müssen.
Dass Guerreiro weiß, wie man ein Spiel öffnet, kann vor allem auch Joshua Kimmich zugutekommen. Fast kein Angriff der Bayern wird gestartet, ohne dass nicht der deutsche Nationalspieler den Ball kurz an seinem Fuß hatte. Der Neuzugang könnte das Spiel ein wenig unberechenbarer machen und Kimmich damit entlasten.
Entlasten würde Guerreiro Bayerns Nummer sechs auch, wenn er im zentralen Mittelfeld eingesetzt werden würde. Auch hier bewies er schon mehrmals seine Qualitäten. Unter Tuchel spielte er in Dortmund auf keiner Position häufiger als im zentralen Mittelfeld. Dass er dort überragende Leistung bringen kann, zeigte er unter anderem im Revierderby auf Schalke und gegen den 1. FC Köln in der Rückrunde. Wie oft er in der Bayern-Zentrale jedoch zum Zuge kommt, ist offen, herrscht dort mit Kimmich, Leon Goretzka, Ryan Gravenberch, Marcel Sabitzer und Laimer - Stand jetzt - ein Überangebot. Trotzdem heizt er auch hier den Konkurrenzkampf an.
Mit der Verpflichtung von Guerreiro ist eines klar: Tuchel bekommt einen Spieler, der viel Einfluss auf das zukünftige Bayern-Spiel nehmen, einen, der auch aus der zweiten Reihe mit einer Überraschung dienen kann. Das ist etwas, dass Bayern gerade in der Rückrunde gefehlt hat und ein Faktor dessen war, dass sie beinahe die Meisterschaft verspielt hätten.
Zum Leidwesen Guerreiros jedoch nur beinahe. Der BVB-Verteidiger brach vor zwei Wochen noch auf dem Rasen des Signal Iduna Parks in Tränen aus. Gerade hatten er und Dortmund die fast sicher geglaubte Meisterschaft doch noch aus den Händen gegeben. Nun wechselt er zu dem Klub, der ihm diesen Moment bescherte. Im achten Jahr soll es endlich klappen mit der Meisterschaft, jedoch mit dem Verein, der ihm bisher Kopfzerbrechen bereitete.
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