Ein Kommentar zur Herbstmeisterschaft des FC Schalke 04
Königsblaue Euphorie! Der FC Schalke 04 hat die Herbstmeisterschaft vorzeitig perfekt gemacht. Obwohl noch ein Hinrunden-Spieltag aussteht, ist der Klub nicht mehr von der Zweitliga-Spitze zu verdrängen.
14.12.2025 | 17:12 Uhr
Selten war ein Comeback so bemerkenswert - und zugleich so überraschend, meint Sky Sport Reporter und Schalke-Insider Dirk große Schlarmann.
Bevor jetzt die Einwände kommen und gesagt wird: Ja, es ist nur die 2. Bundesliga - und für die Bundesliga reicht das nicht. Die vergangenen Jahre waren desaströs, der Klub ist strukturell und sportlich noch weit vom Bundesliga-Niveau entfernt...
Alles richtig! Darum geht es aber aktuell nicht. Es geht darum anzuerkennen, was man in kürzester Zeit aus einer am Boden liegenden Mannschaft machen kann. Der schlafende Riese scheint nämlich erwacht zu sein. Schalke ist wieder da - und wie!
Selten war ein Comeback so bemerkenswert - und zugleich so überraschend. Denn eines darf nicht vergessen werden: Ein Großteil der aktuellen Mannschaft stand bereits im katastrophalen Vorjahr für Königsblau auf dem Platz. Hinzu kommt, dass aufgrund finanzieller Zwänge im Sommer keine großen Transfers möglich waren. Die Spieler, die S04 nach Gelsenkirchen locken konnte, lösten zunächst kaum Jubelstürme bei den Fans aus.
Neuzugänge erweisen sich als Glücksgriffe
Jetzt, gut sechs Monate später, erweisen sich Nikola Katic (war zuvor in England in die 3. Liga abgestiegen), Hasan Kurucay (im Sommer lange ohne Verein) und Soufiane El-Faouzi (spielte bei Aachen in der 3. Liga) als wahre Glücksgriffe, bei Christian Gomis (spielte zuvor bei Winterthur im Schweizer Tabellenkeller) sind sehr gute Ansätze erkennbar.
"Frank Baumann kocht" dürfte einer der meistgenutzten Sätze der Schalker Fans in den sozialen Netzwerken sein. Und tatsächlich wirken die Handgriffe des neuen Sportvorstands wie wohltuende Streicheleinheiten für die geschundene Schalker Fan-Seele.
Die neuen Spieler passen nicht nur sportlich, sondern vor allem auch menschlich perfekt zum Malocherklub aus dem Revier. In Schalkes neuem Beuteschema ist eine klare Linie erkennbar: Baumann setzt auf eine erfahrene Achse (Karius, Katic, Schallenberg, Karaman), flankiert von jungen, möglichst eigenen Talenten. Ein Ansatz, der in der Vergangenheit nur selten verfolgt wurde.
Muslic war Baumanns bester Deal
Endlich hat Schalke wieder einen starken Mann im Sport, der mit einer - für den Pott noch etwas gewöhnungsbedürftiger Ruhe - die Blau-Weißen führt. Mit seiner Branchenkenntnis und Führungsstärke hat er in kürzester Zeit ein besorgniserregendes Loch im Verein gestopft.
Der beste Deal auf Baumanns Shoppingtour war zweifellos Miron Muslic. Auch hier waren Kritik und Zweifel groß - und ehrlicherweise nachvollziehbar. Millionen für einen weitgehend unbekannten Trainer samt Team auszugeben, erfordert eine Menge Überzeugung und Mut. Doch Baumann ließ von Anfang an keinen Zweifel an seiner Idee.
Muslic zahlt das Vertrauen schneller zurück, als wohl jeder vorher zu hoffen wagte. Schon nach den ersten Wochen ist seine Handschrift klar zu erkennen. Wo Vorgänger noch auf "Eingewöhnungsphasen" verwiesen, überzeugt Muslic mit konkreten Ideen und mutigen Personalentscheidungen. Jeder hat die gleichen Chancen, egal ob gut bezahlter Profi, U23- oder U19-Spieler. Jeder bekommt direktes Feedback auf und neben dem Platz. Wer mitzieht, gewinnt. Wer nicht, ist raus!
Muslic bringt jeden Tag über 100 Prozent auf den Trainingsplatz. Sein Engagement und Elan sind über die Bande zu spüren. Genau wie die Tatsache, dass er mit seiner Art die Spieler ansteckt und mitreißt. Vitalie Becker, Mertcan Ayhan, Mika Wallentowitz und Paul Pöpperl sind die besten Beispiele: Jungs aus der eigenen Knappenschmiede bei den Profis, genau das wollen auch die Fans sehen.
Muslic ist Liebling der Fans
Das Wort "Intensität" wird auf Schalke seit Muslic fast schon inflationär benutzt. Aber es nutzt sich eben nicht ab. Denn Schalke trainiert intensiv, spielt intensiv - und ist damit erfolgreich.
Der Bosnier schafft es, die Mannschaft kontinuierlich weiterzuentwickeln. Zunächst stabilisierte er die zuvor über zwei Jahre hinweg mit schlechteste Abwehr der Liga. Mehr noch! Der blau-weiße Beton ist Ligaspitze, kein Team kassiert weniger Gegentore.
War das Offensivspiel zu Saisonbeginn noch etwas rumpelig, bringt Muslic auch hier nach und nach mehr Struktur rein. Alles vor dem Hintergrund, dass Schalke im Ligavergleich sicherlich nicht über den qualitativ stärksten Kader verfügt.
Auch abseits des Platzes schnellt Muslic in der Beliebtheitsskala raketengleich nach oben. Nahezu alle öffentlichen Statements sitzen, egal ob bei Spieltags-Pressekonferenzen oder nach den rassistischen Entgleisungen beim Pokalspiel in Leipzig. Bemerkenswert: Trotz anhaltender und schwerer Verletzungssorgen nutzt der Schalker Trainer dies nicht ein einziges Mal als Ausrede.
Spätestens seit Miron Muslic im Sky Sport Interview das UEFA-Cup-Lied anstimmte, liegen ihm die königsblauen Anhänger zu Füßen.
Herbstmeister? Vorsicht ist geboten
Welche Wucht Schalke entwickeln kann, wenn es erfolgreich läuft, zeigen die Massenwanderungen der Fans. Ticketshops werden geplündert, fremde Stadien fast schon übernommen. Allein in Düsseldorf waren zuletzt 25.000 Schalker. Ein Zweitliga-Klub steht ligaübergreifend ganz oben in der Auswärtsfahrertabelle.
Dazu hat sich auch die Stimmung in der Arena gedreht. Wurde sie in den vergangenen Jahren noch als Last für die Spieler bezeichnet, beflügelt sie mittlerweile das komplette Team zu Höchstleistungen.
Schalke ist so kein schlafender Riese mehr - Schalke ist ein königsblaues Monster.
Aber Vorsicht: Youri Mulder hat es sehr passend formuliert. Er war auch schon einmal Herbstmeister - und durfte am Ende der Saison nur vier Minuten feiern...