Tuchel vor Debüt als Nationaltrainer von England
Thomas Tuchel startet mit England in die Mission WM-Titel. Der Trainer geht seine Aufgabe selbstbewusst an und nimmt kein Blatt vor den Mund. Dabei muss er gegen Widerstände ankämpfen.
21.03.2025 | 15:10 Uhr
Am Freitag startet der Deutsche mit England in die WM-Quali (20:45 Uhr im Liveticker auf skysport.de). Vor der Partie gegen Albanien hat Sky Reporter Sven Töllner den Trainer ganz genau beobachtet.
Thomas Tuchel hat keine Zeit. Auf dem Weg vom Camp zur Pressekonferenz kann er nichts regeln, keine Prozesse beeinflussen. Vertane Momente. Tür auf, dynamische Schritte zum Podium - bitte schnell die erste Frage. Geplänkel unerwünscht.
Die halbe Stunde Öffentlichkeitsarbeit gestaltet der deutsche England-Manager sehr konzentriert - mit Verstand. Sehr unterhaltsam - mit Charme. Und sehr klarkantig, was manch einer ihm als Provokation auslegt. Tuchel ist sich spürbar im Klaren darüber, dass die Medienarbeit ein gewichtiger Teil seines Jobs ist - und die Gelegenheit, seine Thesen und Vorstellungen zu multiplizieren. Das Ergebnis nach einer Woche Außendarstellung auf der Insel fällt vielschichtig aus, denn seine öffentlichen Auftritte haben nennenswerte Konsequenzen. Positive wie negative!
Tuchel will "mit dem Hunger und der Freude am Gewinnen spielen"
Harry Kane kann es beurteilen. Das deutsche Element, das Tuchel mit ins englische System gebracht hat, ist aus seiner Sicht: "Die direkte Klarheit." Es wird nicht drumherum getänzelt. Der Trainer spricht die Dinge aus, die ihm auffallen, die es aus seiner Sicht zu ändern gilt. Intern - und auch öffentlich. Zum Teil beachtlich unverblümt. "Wir wollen mit dem Hunger und der Freude am Gewinnen spielen", sagte er einen Tag vor seinem ersten Auftritt auf der Trainerbank, "und nicht der Angst zu verlieren." Die glaubte er nämlich erkannt zu haben, als sein Vor-Vorgänger Gareth Southgate das Team zwar ins EM-Finale geführt, rein stilistisch aber viel Kritik auf sich gezogen hatte.
In anderen Worten: Die ganze Fußball-Welt war zu einem eindeutigen Befund gekommen. Mit dieser Ansammlung von Weltklassespielern muss mehr Dominanz, deutlich mehr Attraktivität möglich sein. Bellingham, Kane, Saka, Rice, Foden - das klingt nach Exzellenz, sah aber aus wie Bürokratie. Tuchel spricht es aus - und kriegt öffentlich Feuer. Abrechnung! Attacke! Geht es vielleicht noch ne Nummer größer?
Tuchel erhöht den Druck auf seinen Schultern
Klar ist andererseits, dass der 51-Jährige mit seiner ungeschönten Vergangenheits-Analyse den Druck auf seinen Schultern nochmal um ein paar Kilogramm erhöht hat. Gegen ganz gewiss unangenehme Albaner, die bei der EURO in der Gruppe mit Italien, Spanien und Kroatien zwar ihre Limits akzeptieren mussten, aber sehr wohl durch Unbeugsamkeit aufgefallen waren.
Alles andere als ein überzeugender Start in die WM-Quali (20:45 Uhr im Liveticker auf skysport.de) würde Tuchel selbstverständlich auf die Füße fallen. Seine Einschätzungen zur Southgate-Ära kämen mit vervielfachter Vehemenz zurück in seine Richtung.
Tuchel pokert also hoch. Bewusst? Mit einiger Wahrscheinlichkeit will der Weltklasse-Trainer auch öffentlich darauf hinwirken, dass seine Spieler mutiger agieren, sich auf dem Feld am Selbstbewusstsein ihres Trainers orientieren. Das vermeintlich so schwere England-Trikot mit Leichtigkeit erfüllen und die Identität ausstrahlen, die der Deutsche bei den Engländern vermisst hatte, als er noch Beobachter war und nicht Bestimmer.
Tuchel begibt sich ins Kreuzfeuer
Den Job zu übernehmen, den seit bald 60 Jahren weder Engländer noch Ausländer zum gewünschten Abschluss gebracht haben, war bereits ein Statement. Wer sich in dieses Kreuzfeuer begibt, wird natürlich sehr anständig bezahlt, muss aber ganz gewiss einen Umgang damit finden, dass die eigene Lebensqualität erheblich eingeschränkt wird. Durch ungebremste und auch immer wieder unanständige mediale Attacken. Und durch die uneingeschränkte Diskussions-Bereitschaft sämtlicher Beobachter.
Jeder hat eine Meinung - und viele Debatten-Teilnehmer halten ihre Vorschläge für tragfähiger als die Entscheidungen des mandatierten Verantwortlichen - vor allem in der Nachbetrachtung. Dass Tuchel in seinem Metier zu den absoluten Top-Fachkräften auf der Welt zu rechnen ist, dürfte unstrittig sein. So einer lässt sich nicht gerne erklären, was er falsch gemacht hat.
Tuchel kontert Kritik an Henderson-Nominierung
Aktuell schlägt sich Tuchel vor (!) seinem ersten Ernstfall-Einsatz nicht nur mit der galligen Southgate-Unterstützer-Fraktion herum, sondern auch mit der gut aufgestellten Anti-Henderson-Gruppe. "Hendo" gilt als moralischer Umfaller. Nach starken Statements im Kampf gegen Homophobie für den schnellen Petro-Dollar von Anfield nach Saudi-Arabien zu wechseln, haben ihm viele Fans übelgenommen. Seine aktuellen Leistungen als Kapitän von Ajax Amsterdam halten die meisten nicht für eine ausreichende Referenz. Tuchel hat das vermeintliche Auslaufmodell dennoch zurück in den Kader beordert - als Führungskraft.
Was in England flächendeckend als Rückschritt beurteilt wird, sieht Tuchel als Stabilisierungsmaßnahme für ein Team ohne ausreichend qualifizierte Anführer. "Leadership", sei gefragt, betont der Coach, der als ungeschriebene Klausel in seinem 18 Monate laufenden Vertrag nur einen Auftrag stehen hat: Hol uns den WM-Pokal nach Hause!
Schritt eins der "Mission WM-Titel" gegen Albanien
Er setzt dabei mehr auf Pragmatismus als auf Entwicklung. "Einfache Botschaften", sende er bei seinen taktischen Lektionen. Aus dem Maschinenraum strömt die Botschaft, dass bei alledem der Spaß nicht zu kurz komme - ganz wichtig beim Fußballspielen.
Gegen Albanien wird es ernst. Schritt eins der "Mission WM-Titel". Tuchels Mission. Zum Teil sehr wohl etwas holprig im Anlauf - aber wichtig ist ja nun mal, dass der Abschluss sitzt. So wie beim Elfmeterschießen... Nach dem Abpfiff gegen Albanien weiß die Welt sicher ein bisschen genauer, wo die Engländer aktuell einkategorisiert werden müssen. Und wie stabil Tuchel steht!
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