Jonathan Tah im Interview zum Internationalen Tag gegen Rassismus

Der deutsche Nationalspieler spricht bei Sky über Alltagsrassismus, schlimme Kindheitserfahrungen, hässliche Affengeräusche und einen besonderen Dank an Joshua Kimmich.

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Jonathan Tah über Vorbildsfunktion im Fußball

Anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus hat sich Sky mit dem Fußball-Star zum Interview getroffen.

Als Sohn eines Ivorers und einer Deutschen wuchs Jonathan Tah im Hamburger Stadtteil Altona auf. Der 29 Jahre alte Abwehrchef holte mit Bayer 04 Leverkusen im vergangenen Jahr das Double und spielte sich während der Heim-EM als Stamm-Innenverteidiger in der deutschen Nationalmannschaft an der Seite von Antonio Rüdiger in die Herzen der Fans.

Tah trägt seit der U16 mit Stolz den Bundesadler auf der Brust. Und trotzdem erfährt er, der sich als gebürtiger Hamburger laut eigener Aussage "zu 100 Prozent als Deutscher" identifiziert, immer wieder Ablehnung und Diskriminierung.

Der Internationale Tag gegen Rassismus LIVE auf Sky.
Image: Der Internationale Tag gegen Rassismus LIVE auf Sky.  © Sky

Sky Sport: Eigentlich steigt man in das Thema Rassismus oft mit der Frage ein: "Wie haben Sie es denn erlebt?" Ich mache das mal ein bisschen anders. Es gab vor der Heim-EM eine Umfrage des WDR, die gezeigt hat: 20 Prozent der Fans fordern mehr weiße Spieler in der Fußballnationalmannschaft. Haben Sie das Gefühl, dass sich seit dieser Umfrage was verändert hat?

Jonathan Tah: Ich hinterfrage solche Umfragen. Wer wurde gefragt? Wie viele Menschen wurden gefragt? Ich glaube aber schon, dass es wichtig ist, dass über das Thema gesprochen wird und es kein Tabuthema ist. Es sollte ein Thema sein, über das sich viel drüber ausgetauscht wird und der Fokus darauf gelenkt wird. Aber nicht immer dieses "ich traue mich gar nicht zu fragen und ich trau mich gar nicht". Genau das Gegenteil muss passieren. Und ich glaube schon, dass das Thema allgemein mehr angesprochen wird.

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Sky Sport: Werden Sie oft darauf angesprochen, medial oder auch privat von Fans?

Tah: Ja, beides. Ich versuche immer, wenn es Anfragen dazu gibt, meinen Teil beizutragen, in dem ich öffentlich über das Thema spreche. Aber auch privat werde ich angesprochen. Vor allem, wenn jemand mitbekommt, dass ich das oder das gesagt habe, dann kommt gerne privat die Frage: "Wie ist das denn, wie stehst du zu diesem Thema?"

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Sky Sport: Haben Sie für sich selbst eine Definition von Rassismus?

Tah: Diskriminierung oder Hass aufgrund von Herkunft, Hautfarbe und Aussehen! Ich verbinde Rassismus mit sehr viel Hass, mit "ich mag dich nicht, weil du so aussiehst und von dort kommst".

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Sky Sport: Sie sind in Hamburg aufgewachsen, mit einem Vater aus der Elfenbeinküste und einer deutschen Mutter.

Tah: Ja.

Sky Sport: Wie war das für Sie, als Kind durch die Straßen von Hamburg zu laufen? Gab es für Sie sogar prägende Erlebnisse, die Sie als Kind mitbekommen haben?

Tah: Absolut. Da habe ich Situationen erlebt, die nicht schön waren. Ich muss sagen, in dem Stadtteil, in dem ich groß geworden bin, in Hamburg Altona, war es sehr bunt. Da habe ich diese Erfahrungen nicht machen müssen. Gott sei Dank! Aber in der Schule und im Fußball, vor allem im Jugendfußball, habe ich viele Situationen erlebt, die nicht schön waren und die natürlich nachhaltig geprägt haben. Wenn ich mit meiner Mutter rumgelaufen bin, dann haben die Leute gar nicht gedacht, dass sie meine Mutter ist, weil sie weiß ist. Es gab schon echt Situationen, die unangenehm waren.

Sky Sport: Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Tah: Ja, das Schlimmste, was ich erlebt habe, war bei einem Jugendfußballspiel. Mit dem Hamburger SV hatten wir ein Ligaspiel auswärts und wenn wir dunkelhäutigen Spieler den Ball berührt haben, haben Fans von außen Affengeräusche gemacht. Wir waren 13, 14 Jahre alt. Wir waren Kinder. In dieser Phase, du bist ein pubertierender Junge, weißt du überhaupt nicht, wie du damit umgehen sollst.

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Sky Sport: Gab es jemanden, der Ihnen geholfen hat, damit umzugehen? Da es damals passiert ist und es heute immer noch passiert, meine Anschlussfrage: Haben die Menschen heute mehr Bewusstsein, sodass schneller geholfen wird?

Tah: Ja, auf jeden Fall. Damals habe ich viel mit meiner Mutter darüber geredet. Ich konnte mich aber auch mit unserem damaligen U19-Trainer Otto Addo viel darüber austauschen, weil er selbst im Fußball sehr, sehr viel erlebt hat. Jetzt ist es so, dass ich Menschen um mich herumhabe, mit denen ich darüber sprechen kann. Wenn so etwas passiert, ist es wichtig, sofort darüber zu sprechen.

Was ich für mich gelernt habe? Meine Emotionen, meine Gefühle zu teilen. Es verletzt mich immer noch. Ich bin ein gestandener Mann, ein gestandener Fußballprofi und es verletzt mich, wenn ich mitbekomme, dass jemand ausgepfiffen wird oder dass Affengeräusche gemacht werden, wenn er den Ball berührt. Das verletzt mich, das tut mir weh. Und ich glaube, je offener ich bin, desto mehr Leute kann ich erreichen und vielleicht auch deren Gedanken verändern.

Sky Sport: Würden Sie zu einem Verein gehen, bei dem Sie wissen, dass es in der Kurve regelmäßig offen rechtsextreme und rassistische Äußerungen gibt?

Tah: Das würde ich absolut in meine Entscheidung mit einbeziehen. Ich versuche da aber auch immer zu unterscheiden. Das Rassismus-Thema ist extremes Schubladendenken und ich will dieses Schubladendenken gar nicht haben. Es kann sein, dass der Verein überhaupt nicht so orientiert ist. Es kann auch sein, dass die Fanszene überhaupt nicht so ist, aber dass es zehn Leute gibt, die so drauf sind. Diese Leute werden immer wieder darauf angesprochen und es wird gefordert, dass sie es nicht machen, und sie verhalten sich trotzdem nicht so. Ich versuche so gut es geht, zu schauen, wer ist das? Aber natürlich, wenn es eine ganze Fanszene wäre, würde ich mich unwohl fühlen und wahrscheinlich das nicht machen.

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Sky Sport: Sie haben gerade angesprochen, Sie wollen drüber reden und Ihre Gefühle auch zeigen. Sehen Sie sich als Role Model im Kampf gegen Rassismus?

Tah: Absolut! Im Fußball allgemein und vor allem im Männerfußball wird sehr wenig über Emotionen und über den mentalen Aspekt geredet. Gerade in Bezug auf dieses Thema ist es extrem wichtig, einfach so offen wie es geht, darüber zu sprechen. Es hat nichts mit Schwäche zu tun, wenn man seine Gefühle zeigt und ich versuche auf jeden Fall, meinen Part beizutragen.

Sky Sport: Auch wenn das etwas platt klingt, aber so ist ja auch die Nationalmannschaft der Spiegel der Gesellschaft - mit Ihnen, mit Toni Rüdiger, Leroy Sane, Jamal Musiala, jetzt auch mit Yann Aurel Bisseck.

Tah: Bei uns innerhalb der Kabine gibt es Rassismus nicht. Wir verfolgen alle ein gemeinsames Ziel und wollen das gemeinsam erreichen. Dies hat mit der Hautfarbe und dem Aussehen überhaupt nichts zu tun. Und das ist schön und es hat auf jeden Fall einen Vorbildcharakter. Ich habe auch das Gefühl, dass wir schon viel - auch durch die Heim-EM - erreichen konnten und zeigen konnten, was Deutschland ist. Und wir spiegeln das so ein bisschen wider. Auch wenn ich es nicht mag, dass teilweise die Verantwortung, diese politische Verantwortung, sehr auf den Fußball geschoben wird oder auf die Nationalmannschaft. Das mag ich nicht. Aber in dem Fall ist es einfach automatisch so, dass wir diesen Vorbildcharakter haben. Und ja, es ist schön, wenn wir damit Leute erreichen.

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Sky Sport: Haben Sie in der Fußballkabine noch nie Rassismus erlebt?

Tah: Zumindest nicht auf eine unfaire Art und Weise, bei der jemand bewusst jemanden diskriminieren wollte. Nein, habe ich nicht. Aber man redet ja manchmal von Alltagsrassismus und deswegen sollte man sich austauschen. Es gibt so viele unterschiedliche Kulturen, die in einer Fußballkabine zusammenkommen. Dabei entstehen manchmal auch Fragen, über die man reden kann und sollte. Da gab es sicher mal eine Situation, bei der ich mich vielleicht im ersten Moment angegriffen gefühlt habe. Aber dann sage ich das und frage nach: Wie war das genau gemeint? Und dann löst sich so eine Situation relativ schnell auf.

Sky Sport: Sind da alle Spieler in der Pflicht, das auch anzunehmen? Und ich meine jetzt nicht nur Spieler mit Migrationshintergrund, sondern eben auch andere Deutsche, dass sie sich gegen Rassismus auflehnen?

Tah: Jeder ist in der Pflicht, darüber zu sprechen und sich dazu zu äußern. Gerade von Spielern, die keinen Migrationshintergrund haben, ist es wichtig, dass sie darüber sprechen. Ich kann mich erinnern, Jo Kimmich hatte mal auf einer Pressekonferenz darüber gesprochen. Das ist schön für jemanden wie mich, das zu sehen, dass er da offen darüber spricht und sich offen auch dagegen wehren möchte und sagt: "Das sind nicht meine Werte. Das funktioniert so nicht." Das ist schön für mich, das zu sehen, dass er sich dafür einsetzt.

Sky Sport: Es gibt Flagship-Tage, wie den Tag gegen Rassismus und die Rote Karte gegen Rassismus. Wie wichtig sind solche Tage, bei denen ganz gezielt darauf aufmerksam gemacht wird?

Tah: Diese Tage sind extrem wichtig, um so viel Aufmerksamkeit wie möglich darauf zu lenken. Immer wieder die Leute auch zu sensibilisieren, anzufangen, mehr darüber nachzudenken.

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Sky Sport: Gibt es oft die Form des latenten Rassismus, bei dem man einfach was hinwirft - was vielleicht auch mal spaßig gemeint war?

Tah: Das kommt leider sehr, sehr, häufig vor. Das ist quasi Standard.

Sky: Wie reagieren Sie darauf?

Tah: Wer zu mir so was sagt wie "Du bist ja gar kein Deutscher", dem stelle ich die provokante Frage zurück: Okay, was bin ich denn dann, wenn ich kein Deutscher bin?! Dann kommt: "Dein Vater kommt ja von da und da." Aber wenn ich in der Elfenbeinküste bin, dann bin ich garantiert kein Ivorer, denn ich spreche fließend Deutsch. Ich bin mit der Kultur aufgewachsen, meine Mama ist deutsch, also bin ich Deutscher. Ich definiere mich selbst als Deutscher. Ich bin froh und glücklich, dass ich auch andere Wurzeln in mir habe und finde das cool. Aber ich identifiziere mich zu 100 Prozent als Deutscher. Und wenn dann jemand zu dir sagt "Du bist nicht das, als was du dich identifizierst", das verletzt einen und tut weh.

Sky: Haben Sie für sich selbst einen Mechanismus, damit umzugehen, wenn so etwas auf Sie einströmt und es sie emotionalisiert? Haben Sie vielleicht sogar gelernt, damit umzugehen?

Tah: Ja, ich versuche, so rational wie möglich damit umzugehen. Das ist für mich immer die beste Variante, um dieses Gespräch irgendwie führen zu können. Wenn du emotional wirst, was es sicherlich auch schon gab bei mir, dann kommt es zu diesem Kampf, aber da kommt am Ende keine Lösung raus. Deswegen sage ich immer "Hass gegen Hass und Dunkelheit gegen Dunkelheit" bringt meiner Meinung nichts. Es gibt Situationen, bei denen man sehr direkt sein muss und sehr straight sein muss. Aber am Ende kann man Hass nicht mit Hass bekämpfen.

Das Interview führte Jesco von Eichmann

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