Nach dem blamablen Pokalaus in Dresden schrillten beim HSV alle Alarmglocken. Doch der Nordklub hat sich mit zwei Siegen aus zwei Spielen in der 2. Bundesliga zurückgemeldet - und auch personell nachgelegt.
Es ist viel von Demut die Rede im Volkspark. Weg von der Großspurigkeit vergangener Tage. Und raus aus der verblendeten Perspektive eines ''gefühlten Erstligisten", der auf eine schnelle Strafrunde geschickt wird, weil er zu oft daneben geballert hat. Zweitliga-Saison Nummer drei - das ist die Realität.
HSV wird zum Aufstiegsfavorit
Und nach dem völlig verkorksten Pflichtspielauftakt in Dresden sprach nicht viel dafür, dass der Kurs in der laufenden Spielzeit grundlegend korrigiert werden könnte. Demut also. Per Definition: ''In der Einsicht in die Notwendigkeit und im Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit." Die Gegebenheiten haben sich seit dem Pokalaus erheblich verändert.
Die Hamburger Demut halten viele Liga-Konkurrenten mittlerweile für ein strategisches Manöver, Ergebenheit für fehl am Platze. Nach zwei Siegen zum Start und vor dem Auftritt in Fürth, sehen die meisten Mitbewerber den HSV zum dritten Mal in Folge als Aufstiegsfavorit Nummer 1.
Als Argumentationsgrundlage gelten von Kiel bis Würzburg die ersten HSV-Resultate, vor allem aber die letzten Verpflichtungen, die Sportvorstand Jonas Boldt und dessen Direktor Michael Mutzel möglich gemacht haben. Simon Terodde war pünktlich zum Ligastart auf Betriebstemperatur. Moritz Heyer ist im Express-Tempo zum Defensiv-Fixpunkt geworden.
Ulreich der neue Rückhalt
Und mit Sven Ulreich haben die Hamburger Chef-Einkäufer einen Torwart an die Elbe gelotst, den viele Klubs mit internationalen Ambitionen ohne Magengrummeln das Tor ihres Teams hüten lassen würden. In Hamburg soll der langjährige Backup des womöglich besten Torhüters aller Zeiten zum Rückhalt werden. Und zum Aufstiegsgaranten. Vorne Terodde, hinten Ulreich. Eine simple Formel, nicht überragend innovativ - aber mutmaßlich wirkungsintensiv.
Die kleinen Brötchen, die sie in Hamburg nach der jahrelangen Aneinanderreihung absurdester Enttäuschungen backen wollten, sind während der Transferperiode ein bisschen voluminöser geworden. Das ist gewiss auch dem strategischen Geschick der Hamburger Verhandlungsführer geschuldet. Ein passender Moment also eigentlich, um in der Führungsetage auf Kontinuität zu schalten.
Und eine bemerkenswerte Fügung des Fußball-Kosmos, dass dem entscheidenden Baustein im sportlichen Konstrukt der Hamburger ausgerechnet jetzt eine Offerte aus der ewigen Stadt auf den Schreibtisch geflattert ist. Rom will Jonas Boldt - möglicherweise. Zumindest verschlechtert das kolportierte Interesse aus Italien die Verhandlungsposition des gewieften Vertragspoker-Profis mit dem auslaufenden Arbeitspapier ganz sicher nicht.
Verlässt Boldt den Traditionsklub?
Der Aufsichtsrat um den ehemaligen Nationalverteidiger Marcell Jansen muss eine Grundsatzentscheidung treffen. Neue Verträge für Boldt & Co.? Und falls ja - sollte die Begierde aus Bella Italia die Kontrolleure dazu verleiten, großzügige Zahlen bei Laufzeiten und Gehältern einzustanzen, die die aktuelle wirtschaftliche Gesamtlage eigentlich nicht hergibt?
Kompliziert. Denn sollte die Zukunft ohne den großgewachsenen Anführer gestaltet werden müssen, wäre die nächste Frage, ob Jonas Boldt die anstehende Transferperiode (beginnt am 2. Januar) guten Gewissens anvertraut werden kann. In der müssen die Weichen zum Aufstieg womöglich nochmal nachjustiert werden. Geht einer, dessen Gedanken bereits Richtung Fontana di Trevi fließen, dann mit der letzten Gewissenhaftigkeit zu Werke?
Bis dahin muss Daniel Thioune mit dem bestehenden Kader auskommen. Und die Aussichten, dass zum Jahreswechsel eine sehr anständige sportliche Ausgangsposition geschaffen worden sein wird, sind keineswegs schlecht.
HSV ohne Leibold gegen Fürth
Gegen Aue wurde dem HSV die Chance zum Nachlegen genommen. Die unerwünschte Corona/Länderspiel-Pause hat allerdings nicht ausgereicht, um die Adduktoren-Probleme des Kapitäns in den Griff zu bekommen.
Tim Leibold, Premium-Servicekraft der Vorsaison (16 Assists), fällt in Fürth aus. Thioune muss basteln. Weil auch Ambrosius (Quarantäne) noch passen muss, steht am Ronhof eine weitere Qualitäts-Prüfung für die Hamburger auf dem Programm: Hat der Kader genug Tiefe? Ein Dreier in Fürth und ein Heimsieg im folgenden Nachholspiel gegen Aue (21.10.) würden jedenfalls die Prognosen der Konkurrenten bestätigen - und die Hamburger Demut vielleicht ein wenig ins Wanken bringen.