Am Puls der Nation
24.06.2024 | 14:15 Uhr
Nach der WM 2018 in Russland, der Corona-EM 2021 und der Winter-Weltmeisterschaft in Katar sind die Deutschen "fußballmüde" geworden. Die jetzige Europameisterschaft im eigenen Land lässt das Fußballherz der Bundesrepublik allerdings wieder höher schlagen. Ein Erlebnisbericht von Sky Redakteur Jonas Gerhartz.
Berlin, 22:49 Uhr: Freudentaumel, Bierduschen und fremde Leute jubelnd in den Armen - alles völlig losgelöst. Was nur ein Tor mit einer gesamten Gesellschaft macht, kann womöglich keine zweite Sportart so sehr wie der Fußball. Ein Gefühl, auf welches Fußballdeutschland zu lange verzichten musste.
Das letzte erfolgreiche Fußballturnier der deutschen Nationalmannschaft? Ist definitiv eine Weile her. Nach dem Erreichen des Halbfinales bei der Europameisterschaft 2016 folgten sportlich dunklere Jahre für die DFB-Elf.
Angefangen beim peinlichen Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland über die Corona-EM 2021 bis hin zur umstrittenen Wüsten-Winter-Weltmeisterschaft in Katar 2022. Auch wenn die Nationalmannschaft bei diesen besagten Turnieren mit ihren Leistungen nicht gerade für Euphorie gesorgt hat, spielten sicherlich auch die Austragungsorte sowie die pandemiebedingten und politischen Umstände keine unbeachtliche Rolle, warum die deutsche Fußballnation "müde" geworden ist.
Mittlerweile ist die Europameisterschaft im eigenen Land in vollem Gange und die Euphorie, dass die Jungs von Bundestrainer Julian Nagelsmann endlich mal wieder ein gutes Turnier spielen, definitiv spürbar. Sportlich konnte man vor dem letzten Gruppenspiel gegen die Schweiz nämlich die ersten beiden Spiele gegen Schottland und Ungarn souverän gewinnen und sich vorzeitig für das Achtelfinale qualifizieren.
Allerdings wollte ich mir ein eigenes Bild von der Stimmung im Land machen. Schafft es das DFB-Team wirklich wieder die Massen für den Fußball zu begeistern? Um das herauszufinden, gibt es nur einen richtigen Ort: Die größte Fanzone Deutschlands - die Berliner Fanmeile vor dem Brandenburger Tor.
Bereits vor dem Anpfiff gegen die Schweiz stand fest: Die Party im Land geht weiter. Allerdings ging es gegen die Nati um den Gruppensieg, der definitiv Auswirkungen auf den weiteren Turnierverlauf hat. Nicht nur, ob man im Achtelfinale auf den Zweiten der Gruppe B oder C trifft, sondern auch, ob sich die aufgekommene Euphorie im Land weiter aufrechterhalten lässt.
Für das Public Viewing im großen Stil hätten die Voraussetzungen am gestrigen Sonntagabend nicht besser sein können: Sommerliches Wetter in der Hauptstadt, gute Stimmung auf den Straßen sowie eine gewisse Anspannung, die in der Luft lag.
Angekommen auf der Fanmeile traf man neben den Deutschlandfans nicht nur auf Schweizer, sondern auch vereinzelte Fußballfans aus Europa und darüber hinaus. Die Zeit bis zum Anstoß verflog schnell: Ball jonglieren oder Fußball fachsimpeln mit Fremden, die über 90 Minuten zu Bekannten wurden, verkürzte die Zeit bis zum Spiel enorm und zeigte mir: Fußball verbindet.
Wenn wir ehrlich sind, war es gegen die Schweizer die bis dato schlechteste Turnierleistung der deutschen Mannschaft. Beim letztendlich zurückgenommenen Führungstreffer von Robert Andrich konnte man allerdings den Puls einer ganzen Nation, die geschlossen mitfiebert, erstmals spüren. Darauf folgte nur wenige Minuten später die große Ernüchterung: Die Schweizer Führung durch Dan Ndoye.
Allerdings waren der Glaube und die Hoffnung, dass Deutschland noch einmal zurückkommt, definitiv vorhanden. Und so kam es dann auch: Beim Ausgleichstreffer durch Niclas Füllkrug tief in der Nachspielzeit jagte eine Gefühlsexplosion des Glücks die Straße des 17. Juni herunter. Knapp 60.000 Menschen lagen sich auf der Fanmeile in den Armen - ein unbeschreibliches Gefühl.
Nach diesem dramatischen Spielende bin ich mir sicher, dass diese Moral der DFB-Elf, die bis zur letzten Sekunde an sich geglaubt und noch belohnt hat, mental wichtig sein kann für den weiteren Turnierverlauf.
Und klar ist auch: Nach dieser erfolgreichen Gruppenphase mit dem Last-Minute-Finish von Füllkrug hat diese Heim-EM das ganz große Potenzial, die Fortsetzung des Sommermärchens von 2006 zu werden. Denn von Fußballmüdigkeit ist keine Spur mehr!
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