Die Kolumne von Sky Experte Stefan Kretzschmar zur EHF EURO 2020

Kretzschmar: Der berühmte Knoten wird beim DHB-Team platzen

Stefan Kretzschmar analysiert in seiner Kolumne die spannendsten Themen aus der Welt des Handballs.
Image: Stefan Kretzschmar analysiert in seiner Kolumne die spannendsten Themen aus der Welt des Handballs.  © Sky

Sky Experte Stefan Kretzschmar analysiert in seiner Kolumne regelmäßig die wichtigsten Themen aus der Welt des Handballs. Diesmal sucht er nach Antworten für die schwankende Vorrunden-Leistung der deutschen Nationalmannschaft. Außerdem nimmt er den stark kritisierten Bundestrainer Prokop in Schutz.

Das Positive vorweg: Handball ist ein Ergebnissport, wir haben zwei Spiele gewonnen und stehen in der Hauptrunde - das ist erst einmal das Vorrunden-Fazit generell. Die deutsche Nationalmannschaft hat ein vorzeitiges Ausscheiden verhindert, indem man Lettland und Niederlande - zwei Nationen die man schlagen musste - auch geschlagen hat.

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Knoten ist noch nicht geplatzt

Das Spiel gegen Spanien war sicherlich keine Sternstunde des Deutschen Handballs. Aber: Frankreich ist ausgeschieden, Dänemark steht kurz vor dem Aus, das waren zwei große Titelfavoriten. Die würden jetzt sicher gerne mit uns tauschen - so viel zu der aktuellen Ausgangslage. Aber es ist nicht alles Gold was glänzt.

Bei der DHB-Auswahl ist der sogenannte berühmte Knoten noch nicht geplatzt. Die Jungs spielen teilweise sehr verunsichert, sind sehr ängstlich in einigen Spielen aufgetreten, niemand hat so richtig Selbstvertrauen gefunden - das ist momentan das Hauptproblem.

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Stefan Kretzschmar spricht in seiner Kolumne über die spannendsten Themen aus der Welt des Handballs.

Berg- und Talfahrt

Die Chemie in der Mannschaft stimmt, alle verstehen sich und sind hochmotiviert, doch sie kriegen das aktuell nicht auf die Platte. Das Spiel gegen Spanien hat deutlich die Grenzen aufgezeigt: Es werden viele Fehler gemacht, die der Qualität der Spieler nicht gerecht wird. In der Bundesliga machen die Jungs so etwas ganz selten.

Das deutsche Spiel gleicht einer Berg- und Talfahrt: Die Spieler nehmen sich Auszeiten, sie verlassen das taktische Korsett und dann reihen sich technische Fehler aneinander, so kommt der Gegner wieder zurück ins Spiel. Das ist in meinen Augen reine Kopfsache, das hat mit dem Vermögen der Spieler oder der falschen Einstellung durch den Trainerstab nichts zu tun.

Selbstvertrauen - Fehlanzeige!

Der Kopf spielt beim Handball eine ganz entscheidende Rolle. Selbstvertrauen und Selbstsicherheit sind zwei ganz große Worte. Wenn man nicht optimal in so ein Turnier startet, dann kommt man in eine Art Abwärtsspirale. Gerade wenn es mal nicht so läuft, fängst man einmal mehr an, darüber nachzudenken und dann verliert man seine natürliche Ausstrahlung und Selbstsicherheit. Die Herangehensweise "Wir werden Europameister" schwenkt dann ganz schnell in "Hoffentlich verlieren wir nicht" um. Und das ist der Anfang vom Ende.

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Image: So Sieht der Turnierbaum der EM 2020 aus.  © Sky

Nachnominierungen nicht notwendig

Kein Spieler hat bei der EM bisher seine Normalform gezeigt, keiner ist über sich hinausgewachsen. Alle schießen sich derzeit auf Linksaußen Uwe Gensheimer ein, aber er spielt nicht schlechter als die anderen. Er hat die Messlatte in den letzten Jahren sehr hoch gelegt und ist sicherlich der einzige Weltstar, den wir haben und deswegen fällt es so vielen auf, dass er derzeit unter seinen Möglichkeiten spielt.

Unser starkes Torhüter-Duo haben wir bisher auch noch nicht konstant auf einem Niveau gesehen, dass wir uns von ihnen erwünscht und vorgestellt haben. Unsere Abwehr, das Prunkstück, hat auch noch nicht funktioniert.

Aber: Ich vertraue auf den aktuellen Kader, eine Nachnominierung von bestimmten Spielern erscheint mir derzeit nicht notwendig. Nennt mich einen Romantiker, aber ich gehe von aus, dass der Knoten irgendwie platzt. Ich habe Hoffnung, dass ein Spiel vieles gerade rücken und ändern kann. Wir sind die Nation im Turnier, die sich am meisten steigern kann. Wir haben immer noch ganz viele Reserven und Luft nach oben. Sobald dieser ominöse Knoten platzt, hoffentlich am Donnerstag gegen Weißrussland, ist diese Mannschaft absolut wettbewerbsfähig und auch gut genug ihr Ziel, das Halbfinale, zu erreichen.

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Das Grundgefühl gegenüber Prokop stimmt nicht

Diese latent negative Herangehensweise, immer wenn man über Christian Prokop spricht, fällt enorm auf. Ich weiß nicht, ob Frankreich jetzt eine Trainer-Diskussion aufmacht nach dem vorzeitigen Ausscheiden, ich weiß nicht ob Schweden oder Norwegen eine Trainer-Diskussion aufmachen, weil ihre Coaches sehr zurückhaltend und ruhig sind.

Fakt ist: Wir in Deutschland machen das. Prokop wurde schon zu Beginn mit ganz viel Skepsis belebt. Er war zu jung, hat eine Ablösesumme gekostet, hat beim ersten Turnier nicht überzeugt ... Er kann machen, was er will, die Leute interpretieren das genau gegenteilig. Das Grundgefühl stimmt nicht. Am Anfang war er zu dominant, zu festgefahren, zu wenig kommunikativ. Dann hat er einiges geändert und ist auf alle zugegangen, bezieht die Spieler in wichtige Situationen ein - und das ist jetzt auch wieder falsch. Bei Prokop sucht man immer nach dem Haar in der Suppe, das ist eine sehr unfaire Behandlung.

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Natürlich hätte er in der letzten Auszeit gegen Lettland lauter werden können und eine Ansage machen, aber so ist er eben nicht. Er ist der analytische Typ und geht da anders ran. Wir müssen ihn als Mensch so nehmen, wie er ist. Er tut mir manchmal leid, weil ihm das nicht gerecht wird, ich finde er ist ein wirklich guter Trainer. Ich weiß, was er für einen Charakter und Sachverstand hat, das ist für mich entscheidend.