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ManCity - Liverpool: Honigstein über Klopp und Guardiola

Sky Experte Honigstein: Guardiolas Job ist einfacher durch Klopp geworden

Jürgen Klopp kassierte gegen Manchester City die zweithöchste Niederlage in seiner Premier-League-Geschichte.
Image: Jürgen Klopp (l.) kassierte im Juli mit dem 0:4 bei Pep Guardiolas Manchester City die zweithöchste Niederlage in seiner Premier-League-Geschichte. In dieser Saison setzte es ein 2:7 bei Aston Villa.  © DPA pa

Vor dem Giganten-Diell zwischen Manchester City und dem FC Liverpool am Sonntag (ab 17.00 Uhr live und exklusiv auf Sky) spricht England-Experte Raphael Honigstein im Interview über die Stimmung in England vor dem Topspiel, die beiden Trainer und kuriose Einfälle in Zeiten der Corona-Pandemie.

Sky Sport: Wie ist die Stimmungslage in England vor dem Giganten-Duell (Sky Claim)?

Raphael Honigstein: Es gibt nicht die Erwartungshaltung, dass sich die Premier League über dieses eine Spiel entscheidet. Das war in den vergangenen Jahren anders. Ich kann mich gut an letztes Jahr im November erinnern, da haben die Liverpool-Fans nach dem 3:1-Sieg gegen City gedacht, sie werden wahrscheinlich Meister.

Sky Sport: Pep Guardiola hat auf die Frage nach der Bedeutung des Spiels für den Ausgang Meisterschaft einen Vergleich mit der US Wahl gewählt und gesagt, dass am Ende jeder Punkt wichtig sei. Wird es ähnlich knapp und spannend wie zwischen Trump und Biden?

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Liverpool-Trainer Jürgen Klopp vor dem Spiel gegen Manchester City. (Videolänge: 43 Sekunden)

Honigstein: Es wird darauf ankommen, wer mit den Problemen, die er bisher in dieser Saison hatte, besser fertig wird. Bei Liverpool hängt sich viel an van Dijks Verletzung und an dem 2:7 bei Aston Villa auf, aber abgesehen von dieser Niederlage haben sie eigentlich eine fast perfekte Saison gespielt. Das 2:7 war ein Ausreißer, beim 2:2 gegen Everton hatten sie Pech. Ich kann mir vorstellen, dass Liverpool wieder Meister wird. Ich glaube nicht, dass es am Ende so deutlich wie letzte Saison wird, aber auch nicht so spannend wie vor zwei Jahren (damals verlor Liverpool nur das Spiel in Manchester und City gewann mit einem Punkt Vorsprung die Premier League).

Sky Sport: Liverpool und ManCity sind wieder die Top-Favoriten. Wie stehen die Chancen der anderen Klubs?

Honigstein: Tottenham ist gut gestartet, Chelsea und Arsenal haben große Fortschritte gemacht, bei Leicester sieht es auch gut aus, Manchester United ist zwar unbeständig, kann aber auch gegen jede Mannschaft gewinnen. Die Liga ist enger zusammengerückt, auch durch die besondere Corona-Situation. In der Premier League sind momentan, anders als in Bundesliga oder Champions League, nur drei Wechsel erlaubt. Das kommt den großen Teams nicht gerade entgegen und macht es schwieriger, gegen kleinere Klubs mal eben im Vorbeigehen zu gewinnen. Dennoch glaube ich, dass gerade bei Liverpool die Qualität so hoch ist, dass sie sich nicht aufhalten lassen werden und sehr gute Chancen haben, den Titel zu verteidigen. Oder wie jürgen Klopp sagt: „Den Titel neu anzugreifen."

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Sky Sport: Wo liegen die Unterschiede zu Deutschland, was die Auswirkungen der Corona-Pandemie angeht und wie geht man in England damit um?

Raphael Honigstein lebt seit 1993 in London und arbeitet seit 1995 als Journalist. Seit der aktuellen Saison ist er auch Sky Experte für die Premier League. (Credit: Peter Schiazza)
Image: Raphael Honigstein lebt seit 1993 in London und arbeitet seit 1995 als Journalist. Seit der aktuellen Saison ist er auch Sky Experte für die Premier League. (Credit: Peter Schiazza)  © Privat

Honigstein: In Deutschland sterben deutlich weniger Leute, man hat die Situation viel besser im Griff. Hier in England hat man stark das Gefühl, dass der absolute Notstand herrscht. Was ja auch von der Regierung so kommuniziert und praktiziert wird: Restaurants, Bars, Shopping Malls und die meisten Geschäfte sind zu. Was den Fußball angeht, gab es in der Bundesliga zumindest eine Zeit lang auch wieder Fans in den Stadien, Das gibt es hier, abgesehen von einem Testspiel zwischen Chelsea und Brighton im August, seit März nicht. Es gibt auch keine Perspektive, wann die Fans zurück in die Stadien können. Das schlägt vielen auf die Stimmung und nimmt dem Fußball und auch dem Spiel am Sonntag ein Stück weit die Relevanz und Brisanz.

Sky Sport: Not macht erfinderisch. Man hört, einige Vereine hätten sich etwas einfallen lassen …

Honigstein: Es gab seit September die absurde Situation, dass du Spiele zusammen mit mehreren Leuten im Fernsehen schauen konntest, aber nicht im Stadion. Dann haben einige Klubs in der Premier League und auch in unteren Klassen Logen im Stadion aufgemacht, wo Leute die Spiele hinter zugezogenen Vorhängen im Fernsehen schauen konnten. Seit dem Lockdown im November ist es nicht mehr erlaubt.

Sky Sport: Bedingt durch Corona gibt es auch keine Menschenansammlungen außerhalb der Stadien. Auch das fällt nun vor so einem Top-Spiel weg.

Honigstein: Ja, in den letzten Jahren wurden oft die Teambusse mit Bengalos empfangen. Ich denke, dass die momentane Situation im Vergleich zu Liverpool auf die ganze Saison gesehen ein Vorteil für City sein kann. Sie haben sich in der Vergangenheit von der Atmosphäre an der Anfield Road mehr beeindrucken lassen als Liverpool im Etihad Stadium. Eine Mannschaft wie City, die mehr über den reinen Fußball kommt, hat ohne Fans einen Vorteil gegenüber Liverpool, die ein Stück weit von den Emotionen leben.

Sky Sport: Jürgen Klopp und Pep Guardiola sind wahre Emotions-Bolzen. Hat sich deren Verhalten an der Seitenlinie in der letzten Zeit durch die spezielle Corona-Atmosphäre verändert?

Honigstein: Nein. Bei Klopp hat die Veränderung schon vor eineinhalb Jahren begonnen. Er macht nicht mehr so viel und muss auch nicht mehr so häufig von der Seite aus eingreifen wie früher, weil die Mannschaft die Spiele besser unter Kontrolle hat. Er will auch nicht mehr durch große Gesten von der Seite dem Team unterschwellig zeigen, dass irgendetwas nicht funktioniert. Bei Guardiola ist es so wie immer, er coacht das ganze Spiel durch. In letzter Zeit sieht er dabei häufig nicht so glücklich aus, weil seine Mannschaft Fehler macht. Sie spielt sich zwar Chancen heraus, nutzt sie aber nicht konsequent. Sie hat nicht mehr die Dominanz von früher. Man hatte in den letzten Wochen immer das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Dementsprechend frustriert sah oft auch Guardiola aus.

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Manchester City: Trainer Pep Guardiola vor dem Spiel gegen Liverpool. (Videolänge: 44 Sekunden)

Sky Sport: Didi Hamann meinte am Donnerstag in seiner Sky Kolumne, er wisse nicht, welcher Trainer dort hätte weitermachen dürfen, wenn er bei diesen Ausgaben in vier Jahren nicht ein einziges Mal ins Champions-League-Halbfinale eingezogen wäre. Geht Guardiolas Zeit bei City dem Ende entgegen?

Honigstein: Der Verein würde gerne mit ihm verlängern, es liegt an ihm. Die Verantwortlichen bei City sind davon überzeugt, dass er einer der besten Trainer der Welt ist. Das hat aber nichts damit zu tun, dass er eventuell zu wenig aus seinen Möglichkeiten macht. Man kann tatsächlich den Eindruck haben, dass City und Guardiola in der Vergangenheit bei Transfers nicht so oft richtig lagen wie es nötig gewesen wäre, um das enorme wirtschaftliche Potenzial auf den Platz zu bringen und international ganz oben anzugreifen. Ich weiß nicht genau, wer tatsächlich schuld ist, es gibt ja auch noch einen Sportdirektor, der sehr mächtig ist, einen Geschäftsführer und Scouts. Vielleicht wird in Manchester in der oberen Etage nicht so gut gearbeitet wie in Liverpool, wo man seit einigen Jahren keine großen Fehler mehr gemacht hat.

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Sky Sport: Aber stimmt der Vorwurf, der häufig zu hören ist, dass Guardiola zu sehr auf seinen Vorstellungen beharrt?

Honigstein: Was stimmt ist, dass der Fußball, den Guardiola spielen lässt, so anspruchsvoll ist und dass nicht viele Spieler für seinen Stil in Frage kommen. City und er haben es nicht geschafft Spieler zu finden, die dauerhaft funktionieren und sein komplexes Spiel mittragen. Sie mussten in den vergangenen Jahren, gerade in der Defensive, immer wieder personell nachlegen. Das würde ich nicht alles Guardiola vorwerfen, aber es ist eine Tatsache. Jetzt könnte man argumentieren, dass Guardiola dann eben seinen Stil ändern muss, aber das würde er natürlich nie machen.

Sky Sport: Klingt so, als würde sich Guardiola das Leben selbst schwer machen.

Honigstein: Guardiolas Job ist sogar auf kuriose Art und Weise ein bisschen einfacher geworden. Dadurch, dass Liverpool in der Premier League ein so starker Widersacher geworden ist, ist der Titel in der Meisterschaft fast so hoch angesehen wie der in der Champions League. Er kann jetzt nicht mehr nur verlieren, wenn er früh in der Champions League scheitert. Er kann jetzt wieder mehr gewinnen, indem er Liverpool die Titelverteidigung streitig macht. Die Ausgangsposition ist für ihn dankbarer geworden.

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Sky Sport: Klopp hat die große Aufgabe, den verletzten Abwehrchef Virgil in van Dijk, den vielleicht besten Verteidiger der Premier League, ersetzen zu müssen. Dabei setzt er bisher auch auf Nat Phillips, der vergangene Saison noch an den VfB Stuttgart ausgeliehen war. Wie wird Klopp mit solch unerfahrenen Spielern die Situation meistern?

Honigstein: Er muss aus der Not heraus improvisieren. Neulich hat Stuttgarts Sportchef Sven Mislintat erzählt, dass Phillips gezielt von Klopp an den VfB ausgeliehen wurde. Es würde sich jetzt bezahlt machen, wenn er weiter gut spielt. Auch ein Rhys Williams wird von Klopp gefördert und findet langsam in seine Rolle. Die Jungs machen ihre Sache gut, aber du wirst mit ihnen wahrscheinlich nicht unbeschadet durch das komplette Weihnachtsprogramm kommen, wenn die Spiele auch mal rustikaler werden. Deswegen hofft Klopp natürlich, dass Matip und Fabinho zurückkommen. Die Defensive ist an einem Punkt angekommen, an dem verletzungstechnisch nicht mehr viel passieren darf. Wenn Wijnaldum oder Henderson in der Abwehr spielen müssten, könnte Klopp nicht mehr im Mittelfeld rotieren lassen, was für ihn mit das Wichtigste ist. Gerade im Mittelfeld findet die ganze Dynamik des Liverpooler Spiels statt. Wenn dort die Leute überspielt sind, wird es hinten und vorne sehr schwierig.

Sky Sport: Der Sturm mit den "Fab Three" Salah, Mane und Firmino war ohnehin schon Liverpools Prunkstück, jetzt trifft auch noch Sommer-Zugang Diogo Jota, zuletzt mit einem Dreierpack in der Champions League. Wird die Offensive wieder das große Pfund der Reds im Titelkampf?

Honigstein: Ja, sie sind im Sturm so gut wie vorher und haben noch einen vierten Mann dazu bekommen, der gerade einen wahnsinnigen Lauf hat. Das macht natürlich alles einfacher. Man muss aber ergänzen, welch wichtige Rolle die Außenverteidiger Trent Alexander-Arnold und Andrew Robertson haben. Sie sind eigentlich die Spielmacher, hingen aber am Ende der vergangenen Saison ein bisschen durch. Doch jetzt sind sie wieder auf Top-Niveau, das macht einen riesigen Unterschied aus.

Sky Sport: Wie geht das Spiel aus?

Honigstein: Ich glaube, dass Liverpool knapp gewinnt. Ich tippe auf ein 2:1 für die Reds.

Das Interview führte Thorsten Mesch

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