Hamburger SV und Werder Bremen - Vier Jahrzehnte Derby-Wahnsinn
Mit Papa, Ploog und Papierkugel – Sven Töllners persönlicher HSV-Werder-Trip beginnt im Jahr 1982.
07.12.2025 | 10:58 Uhr
Sky Sport HSV-Reporter Sven Töllner ist froh und erleichtert, dass das sagenumwobene Nord-Derby endlich wieder stattfindet - zudem noch da, wo es hingehört: In der Bundesliga. Wie viele Nord-Duelle er live erlebt hat, weiß Töllner nicht mehr genau – aber an die zehn geilsten erinnert er sich traumwandlerisch sicher.
15.5.1982: HSV-Werder 5:0
Ein paar HSV-Momente hatte ich seit meinem Premieren-Trip in den Volkspark (12.4.1980/6:1 gegen 1860 München) bereits gesammelt. An diesem Tag löste Dreifach-Torschütze Horst Hrubesch Felix Magath als meinen Lieblingsspieler ab und der brillante Auftritt der Hamburger endgültig die ziemlich unerschütterliche Zuneigung meines zehnjährigen Ichs zu diesem speziellen Klub aus. Mein erstes Derby mit Papa - am Sonntag schaut Hinni erstmals aus dem Himmel drauf. Die zugige alte Schüssel kochte bei jedem Hamburger Treffer noch ein paar Grad heißer - obwohl der Vorgänger des heutigen Schmuckkastens seinerzeit noch nicht mal ausverkauft war.
27.3.1998: HSV-Werder 2:1
Die staubtrockenen 90er - wenig Glanz in der alten Hütte, die zwar irgendwie nostalgischen Charme bewahrt hatte, aber kaum mehr Höhepunkte auf ihre Bühne brachte. Im März '98 steckte der peu a peu gepurzelte Ex-Renommier-Klub in bedrohlicher Lage - Abstiegsgefahr. Mein erstes "Job-Derby" - aufgeregter Kommentator-Assistent an der Seite von Legende/Idol Günter-Peter Ploog. Werder gut, HSV pomadig - insbesondere der alternde Super-Star Anthony Yeboah hatte sich schon seit mehreren Wochen schwerfällig durch die Saison geschleppt. Es entsprach zwar nicht dem Spielverlauf, aber als Günter in der 90. Minute zu einem mitreißenden "Yeboaaaah - Yeboaaaaaaaaaahhhh" anhob, wirkte dessen Last-Minute-Treffer zum Hamburger Sieg doch irgendwie folgerichtig.
9.4.2005: HSV-Werder 1:2
Als Reporter der Hamburger Morgenpost war ich Teilschuldiger eines (möglicherweise) folgenschweren Missverständnisses. Der äußerst körperbewusste Hamburger Abwehrchef Daniel van Buyten war in einer nicht ganz optimal konstruierten Foto-Montage in der MOPO gelandet. Nach Raphael Wickys Hinweis vor dem Training ("Tölle, hau lieber ab - Tarzan ist sauer"), den ich ernst nahm, war klar: Das könnte ein Problem werden. "Tarzan" van Buytens Komplett-Aussetzer in der 8. Minute, der zur Werder-Führung durch Miro Klose führte, definierte den Spielverlauf. HSV-Coach Thomas Doll bescheinigte mir noch Monate später eine nennenswerte Mitverantwortung - nur so halb im Spaß.
13.5.2006: HSV-Werder 1:2
Der letzte Spieltag der Saison - das Duell um den zweiten direkten Champions-League-Startplatz neben den Bayern. Dem HSV (2.) genügt ein Unentschieden gegen den Dritten. Nach der Gäste-Führung durch Klasnic und dem Ausgleich durch Barbarez hatte Werders Vereins-Ikone Ailton, im Winter davor eher aus der Stürmer-Not heraus in den Volkspark gelotst, die Führung auf dem Fuß, verditschte die Königsklassen-Vorentscheidung aber freistehend aus acht Metern. Werder siegt, der HSV qualifiziert sich über die Entscheidungsspiele gegen Osasuna zwar für die Champions League, hat aber so erst spät Millionen-Planungs-Sicherheit und demzufolge keinen tauglichen Kader auf dem gefragten Niveau - der Anfang vom Ende der Doll-Ära.
17.2.2007: Werder-HSV 0:2
Das dritte Spiel nach der aufsehenerregenden Doll-Entlassung. Huub Stevens knurrt den Tabellenletzten aus der Misere. Nach dem 3:0 gegen Dortmund haut der HSV im Weser-Stadion (Werder war auf Titel-Kurs) einen raus. Die Null musste stehen, und das tat sie auch! Vorne versetzt Rafael van der Vaart die angereisten Hamburger Fans mit seinem Doppelpack in einen amtlichen Rauschzustand, der sich in Teilen bis auf die Presse-Tribüne ausbreitet - und dreht für den Klub endgültig das Momentum. Das niederländische Traum-Tandem Stevens und van der Vaart (gilt bis heute als versierter Stevens-Imitator) führen den Verein von Platz 18 aus in den UI-Cup.
7.5.2008: HSV-Werder 0:1
Es ist wie immer Dampf auf dem Kessel. Beide Erz-Rivalen stehen stabil in den Top-5 - das Niveau ist so hoch wie der Aggro-Pegel. Vorreiter in der Disziplin ist - wenig überraschend - Tim Wiese. Später Wrestler, damals offenbar bereits kampfsportaffiner Werder-Torwart, streckt Wiese den heranstürmenden Ivica Olic per blitzsauberem Kung-Fu-Kick an der Strafraumgrenze nieder - wäre wohl die Führung gewesen. Einer der klarsten Platzverweise, dem der Volkspark (damals HSH-Nordbank-Arena) jemals die Bühne geboten hat, wurde von Schiedsrichter Lutz Wagner (#gebrauchtertag) mit Gelb sanktioniert. Olic-Gattin Natali schwillt auf der Tribüne erkennbar der Kamm, Hammer-Hugo Almeida entscheidet die Partie klassisch mit seinem "signature-shot" - in dem Fall allerdings mit dem schwächeren rechten Huf.
22.4.2009: HSV-Werder 1:3 i.E.
Der erste Akt des legendären Vier-Spiele-in-19-Tagen-Schlagabtausches. UEFA-Pokal-Halbfinals, Liga-Endspurt - los ging es mit dem DFB-Pokal-Halbfinale. Der HSV mit Rost, Boateng, Trochowski, Jansen, Petric. Werder mit Mertesacker, Naldo, Özil, Diego, Pizarro - und natürlich Tim Wiese. Der exzentrische Ausnahme-Könner pariert im Elfmeterschießen dreimal, während ihm die fanatische Hamburger Nordtribüne mit enthusiastischer Antipathie im Nacken sitzt. Nachdem er Marcell Jansens Versuch entschärft hat, sprintet Wiese einmal quer rüber zu den Werder-Fans und lässt sein gut zweistündiges Helden-Epos in der Hamburger Nacht gebührend bejubeln. Werder wird später Pokal-Sieger und setzt zum Auftakt des Vier-Duelle-Spektakels einen brutalen Punch, der sich als wirkungsvoll herausstellen sollte.
7.5.2009: HSV-Werder 2:3
Der absurde Höhepunkt der Wahnsinnswochen: Die PAPIERKUGEL! Geknüllter Stolperstein aus der HSV-Choreo, der dem unglücklichen Hamburger Verteidiger Michael Gravgaard den Ball so gemein ans Schienbein spitzelt, dass daraus die Ecke entsteht, die nach dem 1:0-Auswärtssieg des HSV zur vorentscheidenden 3:1-Führung für Werder im Volkspark führen sollte (Baumann). Die Kugel wird gesucht, gefunden, später in der Mixed Zone einem hellwachen Kollegen überreicht und ist bekanntlich im "Wuseum" zu bestaunen - der HSV liegt emotional in Trümmern.
10.5.2009: Werder-HSV 2:0
Der letzte Akt des absurden Vier-Teile-Dramas. Der HSV braucht einen Sieg, um die Chance aufrechtzuerhalten, sich für Europa zu qualifizieren. Für Werder hat die Liga-Partie keine ernsthafte Bedeutung mehr - aber die Verlockung, dem taumelnden Erz-Rivalen als krönenden Abschluss-Tusch noch mal so richtig eins auf die Glocke zu ballern, ist als Motivation vollkommen ausreichend. Der HSV erreicht Europa, verliert aber Trainer Martin Jol und schließlich auch Sportchef Dietmar Beiersdorfer nach kräftezehrendem Dauer-Kompetenz-Gerangel mit Boss Bernd Hoffmann - beiden ist in den Katakomben direkt nach dem Spiel buchstäblich anzusehen, dass die Angelegenheit eher früher als später kein gutes Ende nehmen wird. Der Niedergang des Klubs nimmt Tempo auf und führt (von wenigen positiven Ausreißern abgesehen) schließlich in die 2. Liga (2018).
27.2.2022: HSV-Werder 2:3
Da sich im Jahr 2021 auch Werder nicht mehr halten kann, steigen endlich wieder Derbys - aber eben im Unterhaus. Zudem noch unter Corona-Bedingungen (25000 zugelassene Zuschauer im Volkspark). Alles in allem irgendwie unwürdig. Der Sieger heißt - natürlich - Bremen. Und während Werder am Ende der Saison nach nur einem Jahr in der 2. Liga direkt wieder aufsteigt, scheitern die Hamburger in der Relegation an Hertha BSC unter der Leitung von HSV-Ikone Felix Magath.
Am Sonntag geht es wieder los. Endlich! Auf der größtmöglichen nationalen Bühne - um und bei auf Augenhöhe. Und die Fans beider Lager sind bereit und gierig auf neue - möglichst unglaubliche - Geschichten für das fußballerische Kuriositäten-Kabinett.
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