Der FC Bayern erlebt vor allem neben dem Platz eine unruhige Saison. Impfdebatte um Joshua Kimmich, Anklage gegen Lucas Hernandez, Corona-Ausbruch im Team und zuletzt die turbulente JHV. Immer hieß der Mediator Julian Nagelsmann, der mit Emonalität und Sachlichkeit zugleich glänzt.
"Der FC Bayern hat wieder einmal selbst für Chaos und ein Kommunikationsdesaster gesorgt. Der FC Hollywood lebt mehr denn je", lautete das vernichtende Fazit von Sky Bayern-Reporter Uli Köhler nach der Jahreshauptversammlung am vergangenen Donnerstag. Die Kritik bezog sich dabei vor allem auf die Führungsetage um Präsident Herbert Hainer, die (un)sehenden Auges in die Katar-Revolte der Fans gelaufen ist.
Nagelsmann übernimmt die PR-Arbeit der Bayern
Die Kommunikation zwischen Verein und Fans ist ein Thema, das seit einigen Wochen in der Kritik steht. Wichtige Meinungsträger auf Seiten der FCB-Anhänger werden nicht gehört oder ernst genug genommen, sagt die eine, die Katar-Gegner seien nicht an einem konstruktiven Diskurs interessiert, meint die andere Seite. Eine verfahrene Situation, die zuletzt nur einer aus der Riege der Münchner gekonnt zu moderieren wusste: Julian Nagelsmann.
Schon am Freitag nach der JHV wurde der Coach mit Fragen zu der Veranstaltung bombardiert. Das Sportliche rückte abermals in den Hintergrund, was dem Fußballfachmann sicherlich nicht schmecken dürfte. Und trotzdem nahm sich der 34-Jährige jede Menge Zeit, versuchte die Geschehnisse einzuordnen und gestand beiden Seiten ihre Argumente zu.
Nagelsmann will Austausch auf "sachlicher Ebene" - und hat Erfolg
"Grundsätzlich muss man Meinungen von beiden Seiten auf einer sachlichen Ebene hören, um sich dann ein Bild zu machen. Es darf nicht das Gefühl entstehen, dass da Lager gegeneinander stehen. Ich glaube deshalb muss man kontrovers diskutieren", appellierte Nagelsmann, der selbst bis tief in die Nacht in der Halle blieb und sich die außerplanmäßigen Reden der Fans noch anhörte.
Am Samstag schob Nagelsmann noch einmal nach und räumte Fehler beider Seiten ein, ohne jemanden anzugreifen. "Es gab sicherlich Situationen, die wir als Verein besser hätten lösen können, aber es gab auch Situationen, die die Mitglieder besser hätten lösen können", beschloss Nagelsmann die Situation und befürwortete abschließend ein geplantes Treffen zwischen Katar-Meinungsführer Michael Ott und Bayern-Präsident Hainer.
"Es fällt nun alles auf den Trainer zurück", kritisierte Lothar Matthäus das Vorgehen der Bayern-Bosse, die erst am Sonntag öffentlich Stellung bezogen. "Der stellt sich, auch wenn er lieber über Fußball als über die JHV reden möchte", so der Sky Experte.
Das Jonglieren zwischen Sport und Diskussion
Für seine Art, kontroverse und emotionsgeladene Themen zu moderieren, wurde der neue Bayern-Trainer in dieser Saison schon mehrfach gelobt. Die Fan-Proteste gegen das Sponsoring aus Katar, das viele Anhänger des deutschen Rekordmeisters aufgrund der Verstöße gegen Menschenrechte in den Emiraten ablehnen, ist nicht die erste heikle Debatte, bei der Nagelsmann in diesem Jahr den Mediator gespielt hat.
"Es gehört beim FC Bayern auch dazu, bei gewissen Themen Stellung zu beziehen", weiß Nagelsmann, wie er am Sky Mikro erklärt. Seine eigentliche Arbeit würde das jedoch nicht tangieren: "Ich habe aber noch genug Kapazitäten, mich auch um das Sportliche zu kümmern."
Nagelsmann über Impfdebatte: "Nicht ganz einfach"
In der hitzigen Debatte um den ungeimpften Kimmich sowie das Quartett Serge Gnabry, Jamal Musiala (beide mittlerweile geimpft), Eric Maxim Choupo-Moting und Michael Cuisance blieb der Coach besonnen. Der Ex-Leipziger stellte sich emotional vor seine Spieler, ohne ihre Einstellung zum Thema Impfen zu befürworten. Es folgte ein schnelles Statement, das Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic erstmal vermieden.
"Das ist immer eine gewisse Gratwanderung, wie zum Beispiel mit den ungeimpften Spielern. Da versuchst du, die Spieler zu unterstützen und sie trotzdem auch zu überzeugen", erklärt Nagelsmann sein vorsichtiges Vorgehen und meint selbst: "Das ist schon so ein Durchschlängeln, das ist nicht ganz so einfach. Trotzdem denke ich, dass ich das ganz gut hinbekomme, gemeinsam mit dem Staff."
Causa Hernandez und Corona-Welle: Besonnenheit bringt Lob
Gleiches beim Streitfall Hernandez. Dem Innenverteidiger drohte wegen Nicht-Einhaltens eines Kontaktverbotes eine Haftstrafe von rund sechs Monaten. Bis zum Tag des eventuellen Haftantritts war der Ausgang des Berufungsverfahrens unklar. Doch Nagelsmann ließ sich zu nichts hinreißen, erklärte, weiter mit seinem Verteidiger zu planen und bis zum finalen Urteil kein Öl ins Spekulations-Feuer zu gießen. Diese Haltung wurde belohnt.
Der letzte Wirbel abseits des Platzes begleitet die Bayern schon seit einigen Wochen. Immer wieder mussten Profis in Quarantäne oder infizierten sich mit Corona. Das Ganze in einer Häufigkeit, die in der Bundesliga ihresgleichen sucht. Für Nagelsmann, der selbst Ende Oktober mit dem Coronavirus infiziert war, auch in Sachen Kaderplanung eine schwierige Situation. Diese nimmt der Trainer an, geht dabei überwiegend auf die sportlichen Fragen zu dem Thema ein und kommentiert lediglich nüchtern, ist aber auch immer für einen Kommentar bereit.
Sportlicher Erfolg rundet Nagelsmann-Start ab
Und sportlich könnte es auch schlechter laufen. Platz eins in der Bundesliga, schon vor Abschluss der Gruppenphase im Achtelfinale der Champios League - nur im Pokal setzte es ein Debakel. Allerdings ohne den zu diesem Zeitpunkt in Isolation steckenden Nagelsmann. Der deutsche Rekordmeister ist seinem Coach - auch wenn nicht alles komplett rund läuft - zu Dank verpflichtet.
Bislang musste Nagelsmann viel mehr bewältigen, als es für einen jungen, neuen Coach in einem so großen Klub üblich ist. "Es gab wahrscheinlich schon einfachere Situationen, um Bayern-Trainer zu werden", sagt der Coach selbst. Teils von den FCB-Bossen in der Öffentlichkeit allein gelassen, ist er zum Gesicht der Bayern geworden und beweist Fingerspitzengefühl als Mediator. Mal emotional, mal sachlich - je nach Themenlage. Und dafür wird Nagelsmann derzeit gefeiert.
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