Die Niederlage gegen Ungarn macht mit Blick auf die immer näher rückende WM große Sorgen. Sky Sport zeigt die deutsche Mängelliste.
Die Tendenz verheißt nichts Gutes. Nicht einmal mehr zwei Monate sind es bis zum ersten WM-Spiel gegen Japan und die Baustellen in der deutschen Nationalmannschaft scheinen immer mehr zu werden.
"Gerade die erste Halbzeit hat uns die Augen geöffnet. Daraus müssen wir die Schlüsse ziehen und es beim nächsten Mal besser machen", sagte Bundestrainer Hansi Flick nach der enttäuschenden 0:1-Niederlage gegen Ungarn.
So lang wie die Mängelliste mittlerweile ist, ist es jedoch schwer vorstellbar, dass im abschließenden Vorrundenspiel der Nations League gegen England (Montag, 20.45 Uhr im LIVETICKER) schon alles besser sein wird.
Sky Sport liefert einen Überblick über die vier großen deutschen Problemzonen.
1. Ungewohnte Offensivflaute
In 13 Spielen unter Hansi Flick hatte die deutsche Auswahl immer mindestens ein Tor erzielt, gegen die Ungarn ging das DFB-Team überraschenderweise leer aus.
Flick konnte es selbst nicht glauben: "Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so wenig Torchancen herausspielen, weil wir vorne eine enorme Qualität haben."
Die Qualität ist vom Personal her unbestritten da: Den drittbesten Bayern-Torschützen aller Zeiten Thomas Müller, Champions League-Finaltorschütze Kai Havertz oder Timo Werner, der 2019/2020 28 Bundesliga-Treffer erzielte.
Wandspieler wird vermisst
Aber es scheint dennoch nicht die passende Qualität zu sein, um einen starken Defensivverbund wie den ungarischen zu bezwingen.
Auch Werner selbst vermisst einen sogenannten "Wandspieler". "Wenn wir so einen Fixpunkt hätten, der auch mal hohe Bälle nehmen könnte - warum nicht."
Die Auswahl an deutschen Spielern, die diese Anforderungen erfüllen, ist jedoch gering, wie Flick klarstellt: "Wir haben sehr gute Torhüter, Mittelfeldspieler, eine große Auswahl an Außenspielern. Aber die Mitte? Da haben wir nicht so eine hohe Qualität."
Füllkrug winkt ab
Bezeichnend, dass sich nun sogar der 29-jährige Niclas Füllkrug Hoffnungen auf eine WM-Teilnahme machen darf.
Der Bremer Stürmer sieht sich selbst trotz fünf Bundesliga-Toren allerdings nicht als Kandidat für Katar: "Es ist gerade Länderspielpause und ich sitze hier auf dem Podium und das hat auch mit Sicherheit seine Gründe - und das ist auch okay", sagte er zuletzt.
Ohnehin scheint in der Debatte um den Werder-Angreifer unterzugehen, dass Füllkrug zwei der fünf Treffer per Strafstoß erzielte.
Flick muss sich wohl andere Antworten auf die Offensivschwäche einfallen lassen. Im Zweifel müssen doch Havertz oder Müller als Wandspieler herhalten, obwohl beide auch noch über andere Qualitäten verfügen.
ZUM DURCHKLICKEN: Die Sky-Noten der DFB-Spieler gegen Ungarn
2. Einstellungsproblem
Ob Wandspieler oder nicht - in den ersten 45 Minuten kamen die deutschen Spieler ohnehin viel zu selten in die gefährliche Zone der Ungarn.
"Sehr langsam, sehr behäbig, kaum flexibel", beschrieb Ilkay Gündogan die deutsche Schlafwagen-Spielweise in der ersten Halbzeit.
Tempo, Dynamik und Intensität waren Fehlanzeige. Dazu leistete sich das Team auch noch jede Menge Ballverluste und ließ dadurch die Ungarn auch in der Offensive ins Spiel kommen.
Flick sprach von der schlechtesten Halbzeit in seiner Amtszeit.
Ungarn machen es vor
Die berühmten Grundtugenden des Fußballs ließ das DFB-Team vor allem in den ersten 45 Minuten vermissen. Die Ungarn machten Flicks Mannen vor, wie es geht.
"Sie wollten mehr, waren galliger, haben mehr Zweikämpfe gewonnen - das darfst du nicht akzeptieren", sagte Antonio Rüdiger über den Gegner.
Fehlende Intensität und Unkonzentriertheiten - man hatte gerade in den Anfangsminuten den Eindruck, dass den DFB-Stars das Länderspiel inmitten der Bundesligasaison doch eher ungelegen kam.
Eine Tatsache, die Flick so kurz vor der WM gar nicht gefallen kann.
Deshalb richtete er nach der Partie einen Appell an seine Mannschaft: "Ich erwarte von jedem einzelnen Spieler, dass er an sich arbeitet. Nur dann bekommen wir die Überzeugung und die Qualität, die wir benötigen. Für jeden einzelnen Spieler ist das ein Ansporn, am Montag alles zu geben und die sechs Wochen danach zu nutzen, um vorbereitet zu sein."
3. Fehlende Eingespieltheit
Flick sah aber auch Fehler bei sich selbst. Sein Versuch, in der ersten Halbzeit mit zwei offensiven Außenverteidigern zu spielen, ging nach hinten los.
"Dadurch haben wir die Abläufe nicht ganz so gehabt. Das muss ich ein bisschen auf meine Kappe nehmen. Wir kamen nie dahin, wo wir sie einsetzen konnten", sagte Flick zur fehlenden Effektivität von David Raum und Jonas Hofmann in den ersten 45 Minuten.
Anstatt zusätzlichen Druck auf die ungarische Abwehr aufzubauen, hemmte diese Variante das deutsche Spiel, wie Flick zugeben musste: "Die normalen Abläufe der vergangenen Spiele haben wir dadurch nicht mehr ganz so gehabt."
Wobei zum Trainieren dieser Taktik auch wenig Zeit war. Erst am Montag waren die Spieler angereist. Eine Trainingseinheit wurde dann auch noch kurzfristig gestrichen.
Hofmann falsch eingesetzt?
ZDF-Experte Christoph Kramer stellte jedoch grundsätzlich die Frage, ob Hofmann in diesem System auf der rechten Seite richtig aufgehoben war.
"Jonas Hofmann ist einer der defensivstärksten rechten Flügelstürmer", forderte er eine offensivere Position seines Gladbacher Mitspielers.
Die offensivere Ausrichtung nach der Pause, als Flick auf drei Innenverteidiger umstellte, behagte Hofmann dann auch wesentlich besser.
Dreier/Fünferkette oder Viererkette? Am Freitag wurde deutlich, dass sich Flick über seine taktische Grundordnung für die WM noch nicht im Klaren ist.
Dabei sagte er nach der Ungarn-Partie selbst: "Die Zeit der Experimente ist vorbei."
4. Bayern-Krise
Eines der gravierendsten Probleme, die den Erfolg bei der WM in Katar gefährden könnten, sprach Thomas Müller nach dem Ungarn-Spiel an.
"Man hat gemerkt, dass bei vielen Spielern die Phase im Verein nicht die leichteste ist", sagte Thomas Müller und meinte damit vor allem sich und seine Bayern-Kollegen.
Mit vier sieglosen Bundesliga-Spielen in Folge befinden sich die Münchner in der größten Krise seit langem, Serge Gnabry war nur ein Schatten seiner selbst.
Nagelsmann muss helfen
Die Hoffnung, dass sich die FCB-Stars im Nationalteam Selbstvertrauen holen können, wurde nicht erfüllt. "Oftmals war es so, dass die Nationalmannschaft das Ganze in die andere Richtung gebracht hat", sagte Flick mit Blick auf die Vergangenheit.
Diesmal klappte der Turnaround nicht. Der einst von Uli Hoeneß als für den deutschen Erfolg als unerlässlich bezeichnete starke Bayern-Block bröckelt gewaltig.
Dieses Problem wird Flick jedoch nicht lösen können, sondern ist auf Hilfe von Trainerkollege Julian Nagelsmann angewiesen.
So paradox es klingt: Um deutsche Erfolge bei der WM in Katar feiern zu können, müssen auch die Nicht-Bayern-Fans hoffen, dass dem Rekordmeister in der Bundesliga bald die Wende gelingt.