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Der Fall Leistner: Ein Kommentar von Sky Reporter Sven Töllner

Kommentar zum Fall Leistner: Bis es wieder kracht ...

Toni Leistner geriet nach der Niederlage in Dresden mit einem Dynamo-Fan aneinander.
Image: Toni Leistner geriet nach der Niederlage in Dresden mit einem Dynamo-Fan aneinander.  © Imago

Die Diskussion ist nicht neu. Mit jedem frischen Anlass wird allerdings auf irritierende Weise auffällig, wie viele vergleichbare Vorfälle fahrlässig im Sande verlaufen. Beleidigungen im Stadion - Kavaliersdelikte? Fußball-Folklore? Wo ist die Grenze dessen, was Fußball-Profis und/oder Klub-Offizielle über sich ergehen lassen müssen?

Dass Stadiongänger mit dem Erwerb der Eintrittskarte keineswegs das Ticket in den rechtsfreien Raum der unbegrenzten Pöbel-Möglichkeiten lösen, ist seit Jahren etablierter Konsens.

Der Mangel an probaten Lösungsansätzen ist bei Toni Leistners Ausraster in Dresden erneut überdeutlich geworden.

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Toni Leistner ist nach dem Pokal-Aus des Hamburger SV bei Drittligist Dynamo Dresden mit Fans des Drittligisten aneinander geraten (Videolänge: 1:22 Minuten).

Gesichtslose Block-Masse im kollektiven Niveau-Limbo

Die entstandene Gemengelage ist alles andere als simpel, die Diskussionsgrundlage hingegen schon: Im Stadion gelten dieselben Gesetze wie außerhalb. Beleidigungen sind strafbar, körperliche Attacken ebenfalls. Aber gibt es eine Linie, die den Toleranzspielraum bei den Anfeindungen qualifiziert - eine ungeschriebene Pöbel-Fibel für die Fußballwelt? Nein, die gibt es nicht. Und das verkompliziert die Debatte.

Jeder Fußball-Profi kann das Repertoire im Schlaf runterbeten. Die Arschloch-Wichser-Hurensohn-Kultur ist Bestandteil des Stadion-"Erlebnisses". Fällt ja kaum noch auf. Die gesichtslose Block-Masse im kollektiven Niveau-Limbo. Alltag. Fußball-Profis tun gut daran, sich ein dickes Fell heranzuzüchten. Und offenbar gelingt das den meisten ganz gut. Reaktionen auf die handelsüblichen Verbal-Attacken gibt es kaum. Wie auch? Permanente Scharmützel kleineren oder größeren Ausmaßes wären die Folge.

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Scharfe Ansagen stellen sich als butterweiche Lippenbekenntnisse

Akzeptieren wir also den rauen Ton, der durch die Stadien pfeift? Lieber nicht. Der Fall Leistner hat zweierlei offenbart. Den Krakeelern geht keineswegs die Luft aus. Im Gegenteil: Sie suchen die Eskalation, den Zündstoff, der Überreaktionen heraufbeschwört. Vielleicht wollen sie ihr Mütchen kühlen, Alltagssorgen übertünchen, die gegnerischen Spieler von ihren Aufgaben ablenken - dafür braucht es immer schwerere Geschütze.

Im Fall von Toni Leistner sollen degoutante Drohungen gegen seine Gattin und deren ungeborenes Baby gefallen sein. Der Spieler sah Rot. Ziel erreicht - aber um welchen Preis? Umgangston- und formen haben in Sinsheim vor gerade einmal sechs Monaten für einen beispiellosen Eklat und einen bundesweiten Aufschrei gesorgt. Hopp und Rummenigge hernach gemeinsam auf dem Rasen, rührende Zweisamkeit und kollektive Einigkeit: So können wir nicht miteinander umgehen. Auszeichnung für die "Geste des Jahres" von der Sport Bild. Nicht wegducken wolle man sich, sagte Rummenigge, mit klarer Kante habe man gegen die Täter vorzugehen. Nicht wenige schmunzelten mitleidig. Schließlich waren es nicht die ersten scharfen Ansagen, die sich als butterweiche Lippenbekenntnisse herausstellen sollten, nachdem der faulige Rauch der Respektlosigkeiten weitergezogen war.

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Toni Leistner ist nach dem Pokal-Aus des Hamburger SV bei Drittligist Dynamo Dresden mit Fans des Drittligisten aneinander geraten (Videolänge: 1:22 Minuten).

Leistners Reue wirkt aufrichtig

Das Verhalten der Fans, auch die uappetitlichen Varianten, hat oft Gründe. Nicht selten sogar gute Gründe. Aber in der aktuellen Causa geht es nicht um astronomische Ticketpreise, selbstgefällige Großverdiener oder Gaga-Summen in Verträgen, die durch nichts mehr zu rechtfertigen sind. Hier hat ein erwachsener Mann, vermutlich besoffen vor Freude über den verdienten Überraschungssieg seiner Mannschaft, nach Grenzen gesucht und sie gefunden.

Dass Leistner so reagieren würde, hatte er nicht einkalkuliert - das legt das Studium der diversen Handy-Videos nahe. Für seinen Fehler hat sich der HSV-Profi noch am Abend zeitnah entschuldigt, zudem noch versucht, Kontakt zu einer Familie aufzunehmen, deren kleines Kind er verängstigt hat. Das macht den Ausraster nicht ungeschehen. Und doch wirkt Leistner aufrichtig in seiner Reue. Auch Gattin Josefin postet bemerkenswert reflektiert und schließt mit dem Appell "diesen Menschen nicht als den Verein Dynamo Dresden zu sehen, sondern als Teil eines großen Problems". Da könnte was dran sein - und dieses große Problem beschränkt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht auf die Welt des Fußballs.

Dynamo mit bemerkswerter Reaktion

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Reaktion der Dynamo-Verantwortlichen: "Es ist einfach nur beschämend, dass @ToniLeistner derart von einem Fan seines Heimatvereins nach dem Spiel beleidigt wurde. Wir suchen die Person, weil wir diesen Vorfall so nicht stehen lassen wollen. Ein Dank geht an 99,9 % aller Stadionbesucher für eure Unterstützung!"

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Leistner-Eklat - Fananwältin schätz Situation ein. (Vidoelänge: 1:13 Minuten)

Ein mutiges Statement in dem Bewusstsein, dass Teile der komplizierten Dresdner Fan-Szene diese Haltung als eine Art der Nestbeschmutzung werten werden. Vielleicht aber auch ein Indiz dafür, dass sie es ernst meinen. Nach heißer Luft klingt die Einlassung jedenfalls nicht und es ist wieder einmal denkbar, dass aus einem Wechselspiel schlimmer Entgleisungen ein Schritt in die richtige Richtung entsteht. Es wäre wünschenswert, dass der zur Abwechslung auch mal vollzogen würde.

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